Gemeinsam ist man stärker: Der neue Zusammenhalt in der Gastronomie

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Gastronomen

Jeder Betrieb für sich, Konkurrenzdenken, Ellenbogen raus? Die Zeiten scheinen vorbei zu sein: Die Gastronomie zeigt seit dem Beginn der Corona-Pandemie, dass sie zusammenhalten und füreinander einstehen kann. Eine neue Verbundenheit, mit der sich die Herausforderungen der Branche besser werden meistern lassen.

das gastgewerbe

Das Gastgewerbe - Hotellerie, Gastronomie und Catering – ist eine der großen deutschen Branchen mit knapp zwei Millionen insgesamt Beschäftigten (Quelle: Dehoga Bundesverband 2021), die Gastronomie allein kommt auf über 1,2 Millionen Menschen, einen Umsatz von über 34 Mrd. Euro und fast 165.000 Betriebe. Die letzte Zahl ist besonders wichtig, denn sie zeigt: Die Gastronomie ist enorm kleinteilig. Zum Vergleich: Die deutsche Automobilindustrie erwirtschaftet rund das Zehnfache an Umsatz mit nur knapp 1.000 Betrieben.

Das Kleinteilige der Branche braucht ein großes Ganzes 

Was den Charme der Gastronomie ausmacht – viele kleine, familiengeführte Unternehmen, individuelle Konzepte, besonderes Ambiente, oft ein sehr persönlicher Stil –, ist spätestens mit dem Beginn der Corona-Krise zu einer großen Herausforderung geworden: Denn auf einmal sahen sich alle Betriebe mit zahlreichen Anforderungen und Verordnungen konfrontiert – Hygienemaßnahmen, Regelungen zu Abstand und Co., nur Außer-Haus-Verkauf, Wiedereröffnung unter Auflagen und dieses leider bereits mehrfach. Schnell stellten viele Betriebe fest, dass sie nicht nur Fragen und Informationsbedarf haben, sondern sich auch ungerecht und unzulänglich behandelt, wenn nicht gar von der Politik im Stich gelassen fühlen. Aber: Sie stellten auch schnell fest, dass es ihren KollegInnen ringsherum genauso geht – auf einmal wurde das sprichwörtliche Boot, in dem alle sitzen, sichtbar. Die beispiellose, schwierige Situation, in der sich die Branche wiederfand (und das bis heute), hat ein neues Gemeinschaftsgefühl hervorgebracht. Schnell entstanden viele neue Initiativen, Zusammenschlüsse und Interessengemeinschaften auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene – und existieren bis heute fort.

Bessere Kommunikation mit den Behörden 

Zum Beispiel in Köln: Die dortige IGKölner Gastro wurde 2020 kurz vor der Pandemie gegründet mit der Absicht, „ein gutes Verhältnis mit Ordnungs- und Gewerbeamt auf Augenhöhe zu organisieren und feste Ansprechpartner zu finden“. Schnell sollte sich zeigen, wie wichtig das Ziehen an einem Strang werden sollte: Mehr Außenflächen (u.a. in Parkbuchten), längere Öffnungszeiten, kurzfristige Genehmigungen und vieles mehr hat der Verbund Kölner GastronomInnen mit den Ämtern bereits erfolgreich verhandeln können – in der Domstadt wurde sogar eine „Zentrale Anlaufstelle Gastronomie“ im Ordnungsamt eingerichtet. Auch in Dortmund, Hamburg, Dresden, Berlin und vielen anderen Städten, auch kleineren, haben sich solche neuen „Gastro-Communitys“ gebildet oder wurden bereits bestehende Strukturen gefestigt und erhielten neuen Zulauf. Manchmal sind sie ein eingetragener Verein, manchmal nur eine lose Facebook-Gruppe. Manchmal operieren sie auf Stadtteilebene, manchmal bundesweit wie der ebenfalls 2020 gegründete Gastgeberkreis. Überall ergänzen neue Gruppen schon länger bestehende Strukturen wie z.B. den Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) und vertreten die Interessen ihrer Mitglieder. Auch für Behörden stellt dies einen Vorteil dar. Denn wenn sich Unternehmen mit ähnlichen Anfragen, Wünschen und Bedürfnissen bündeln und sie ansprechen, führt dies im besten Fall schneller zur Entscheidung bzw. zum Ziel.

Die Verbundenheit wird auch untereinander gestärkt

Diese neue Verbundenheit in der Gastronomie hat noch einen weiteren positiven Effekt: Viele Betriebe, die bislang als „Einzelkämpfer“ unterwegs waren, tauschen sich in diesen Netzwerken nun intensiver als zuvor mit KollegInnen aus. Tipps werden geteilt, Erfahrungswerte verglichen, neue Ideen entstehen. Natürlich stehen alle Betriebe letztlich miteinander im Wettbewerb um die „Ressource Gast“ und wollen Betriebsgeheimnisse wahren. Doch es hat sich gezeigt, dass man auch in diesem Sinne gemeinsam stärker ist. Wenn sich z.B. ein Kiez oder Stadtteil gemeinsam gastronomisch präsentiert, dann steigert das die Sog-Wirkung und zieht noch mehr Publikum und somit Gäste an. Ein besonders schönes Beispiel kommt aus Wiesbaden: Seit dem vergangenen Jahr betreiben mehrere Cafés und Restaurants am Sedanplatz gemeinsam den Kiezgarten, einen Biergarten mitten auf dem Platz. Der Getränkeumsatz wird geteilt, Speisen bestellen die Gäste individuell bei den Restaurants – und die Wiesbadener sind begeistert.

Neue formen der zusammenarbeit 

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Es sind viele neue Formen der Zusammenarbeit untereinander denkbar. Hier nur ein paar Ideen:

  • gemeinsam organisierte kulinarische Wanderungen durch die Stadt: an jedem Stopp (Restaurant, Café, Bar) gibt es für die TeilnehmerInnen etwas zu essen und zu trinken, Tickets im Vorverkauf
  • gemeinschaftliche Nutzung von teurem Inventar wie Küchengeräten, die nur gelegentlich benötigt werden
  • Aufbau eines gemeinsamen Onlineshops mit gastronomischer Feinkost, mehr dazu hier
  • Möglichkeiten z.B. für Auszubildende, in einem anderen Unternehmen des lokalen Gastronomie-Verbunds ein Kurzpraktikum zu machen
  • gemeinsamer „Recruiting Day“, bei dem sich die Betriebe SchulabgängerInnen als Ausbildungs- oder Arbeitsplatz präsentieren
  • kurzfristige Unterstützung bei Engpässen und Ausfällen
  • Launch eines gemeinsamen, mehrsprachigen Online-Auftritts inklusive Buchungs- und Reservierungsoption für Gäste (sowie besonderen Arrangements, z.B. ein Dreigang-Menü, bei dem jeder Gang in einem anderen Restaurant genossen wird)
  • gemeinsame Nutzung von Beratungs-Angeboten
  • Anbieten gemeinsamer Treue- und Rabattkarten
  • gebündelte Beschaffung (z.B. von Erzeugnissen landwirtschaftlicher Betriebe der Region)
  • gemeinsame Bewerbung bei Ausschreibungen für Flächen (z.B. Joint-Venture-Konzepte)

 

Fazit

Personalmangel, Bürokratisierung, steigende Preise und Mieten – die Gastronomie wird sich auch in einer pandemiefreien Normalität mit vielen großen und kleinen Aufgaben konfrontiert sehen. Gemeinsam für seine Interessen einzustehen, sich auszutauschen und Lösungen zu erarbeiten, hilft bei der Überwindung vieler Hürden. Und sorgt für neue Motivation: Denn erstens tut es gut zu wissen, dass man nicht alleine ist (wie gesagt: fast 165.000 Betriebe) und zweitens ist die Summe größer als die einzelnen Teile – in der Gemeinschaft entstehen Effekte und Energien, die viel bewegen können. Die oft und zurecht geforderte Wertschätzung für die Gastronomie – sie kann auch in der Branche selbst auf diesem Wege gedeihen.